Redebeitrag zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust

vom Jungen Forum der DIG Leipzig

Heute vor 77 Jahren, am 27. Januar 1945, befreiten Truppen der Roten Armee die Insassen des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Über eine Million Jüdinnen und Juden fanden hier den Tod. Ebenso hunderttausende Sinti, Roma, Pol*innen und Homosexuelle. Für sie kam jede Rettung zu spät. Ihnen gilt es heute zu gedenken. 

Andere überlebten, emigrierten nach 1945 in die Schweiz, die USA oder nach Israel und wurden nicht müde, über das ihnen Ergangene Zeugnis abzulegen. In mehreren Auschwitzprozessen versuchten sich deutsche Mörder und ihre Handlanger in der Nachkriegszeit als unschuldig oder unbeteiligt darzustellen. Es gelang ihnen nicht, weil hunderte Überlebende ihnen entgegentraten und der Öffentlichkeit detailliert Auskunft über die von ihnen begangenen Verbrechen gaben. Und weil engagierte Richter*innen und Staatsanwält*innen, wie der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer trotz heftigen Widerstands nicht lockerließen. Fast 200 Zeugenaussagen wurden im Rahmen der Frankfurter Auschwitzprozesse in den 1960er Jahren zu Protokoll gegeben. Diese hat das Fritz-Bauer-Institut gesammelt und stellt sie heute online der Allgemeinheit zur Verfügung. In einer Zeit, in der es nicht mehr viele Überlebende gibt, die Zeugnis ablegen können, sind Sammlungen, wie die des Fritz-Bauer-Instituts umso wichtiger. 

Vor drei Wochen verstarb mit Trude Simonsohn eine der letzten jüdischen Zeitzeuginnen, denen wir viel zu verdanken haben. Trude Simonsohn kämpfte bis zum Schluss unermüdlich für die Erinnerung an die Verbrechen der Shoah genauso wie für die Entschädigung der Opfer und ihrer Angehörigen. Dafür gebührt ihr tiefster Dank. Zugleich verpflichtet ihr Engagement die heutigen Generationen, das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik verantwortungsvoll weiterzuführen. 

Immer mehr Opfergruppen drängen inzwischen auf Entschädigung. Das ist begrüßenswert, Restitutionen stehen ihnen zu und sind zu lange nicht gewährt worden. In Feuilletondebatten wird die deutsche Erinnerungskultur gleichzeitig immer heftiger debattiert: Ist unser Gedenken zu ritualisiert? Ist ein allzu staatstragendes Pathos dem Akt des Erinnerns überhaupt angemessen? Das sind wichtige Fragen – sollten doch die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten, ihre Ursachen und die Betroffenen im Mittelpunkt des heutigen Gedenkens stehen und keine nationalen Befindlichkeiten. Dass im Zuge gegenwärtiger Debatten zuletzt aber auch von einem vermeintlichen „Katechismus“ oder einer angeblichen deutschen „Holocaust-Orthodoxie“ die Rede war, zeigt, wie wichtig es ist, Versuchen, das Gedenken an den Holocaust pauschal zu diskreditieren, aufzuweichen oder als überflüssige Marotte abzutun, in aller Entschiedenheit entgegenzutreten.

Das Bewusstsein um die historische Spezifik dessen, für was Auschwitz insbesondere steht, darf auch in Zukunft nicht verloren gehen: Die vom NS-Regime vorangetriebene Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden fand in Auschwitz ihren Höhepunkt. Sie hat stattfinden können, weil sich viele Deutschen aktiv daran beteiligten oder bewusst wegsahen. „Das Gerücht über die Juden“, war bereits vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten tief mit dem kulturellen Gefüge der Weimarer Republik verwoben. Im Nationalsozialismus ermöglichte der Antisemitismus als gesellschaftlicher Kit den Zusammenhalt der sogenannten deutschen Volksgemeinschaft. Die industrielle Massenvernichtung der Shoah hängt mit der Selbstkollektivierung der deutschen Volksgemeinschaft unmittelbar zusammen. 

Nach 1945 schrieben sich antisemitische Tradierungen fort – sowohl in der BRD, wo NS-Personal vielfach unbehelligt selbst in höchsten Staatsposten verblieb, als auch in der DDR, in der ein vielfach antisemitisch eingefärbter Antizionismus zur Staatsraison avancierte. Auch heute stehen wir deshalb in der Verantwortung, antisemitische Kontinuitäten zu benennen und ihnen zu begegnen. Das Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 77 Jahren muss in diesem Sinne nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Zukunft verpflichtet sein: Gegen das Vergessen – auf dass Auschwitz nie wieder sei.