Antisemitismus – Die Wiederkehr des Verdrängten

Wenn wir heute, am 80. Jahrestag der Novemberpogrome, an die jüdischen Opfer der Shoah erinnern, dann nur mit dem nachdrücklichen Hinweis darauf, dass die Vernichtung der europäischen Juden auch heute noch keine „bewältigte Vergangenheit“ darstellt. Im Gegenteil: Ein beträchtlicher Teil des heutigen Antisemitismus entsteht gerade aus und äußert sich im Modus der Erinnerungsverweigerung, der Geschichtsvergessenheit, der Umdeutung deutscher Geschichte. Diese Geschichte wird relativiert, wenn Schlachthöfe, Abtreibungen oder die Bombardierung Dresdens als „Holocaust“ bezeichnet werden. Diese Geschichte wird revidiert, wenn linke, rechte und islamische Israelfeinde den Staat der Holocaust-Überlebenden mit Hitlerdeutschland, israelische Militäraktionen mit Nazi-Methoden gleichsetzen. Diese Geschichte wird umgedeutet, wenn islamistische Prediger oder rechte Demagogen sich und ihre Anhänger als „die neuen Juden“ inszenieren. All dies sind Versuche, eine Auseinandersetzung mit der Tatsache und den Nachwirkungen der Shoah in Deutschland abzuwehren. Ein aufrichtiges Erinnern an die Shoah aber muss den inneren Widerstand, den die Unerträglichkeit der Judenvernichtung hervorruft und der ihre Verdrängung bedingt, überwinden. Die Ermordung von sechs Millionen Juden, die individuelle, familiäre Schuld daran und das Ausmaß der Verstörung, das diese Tatsache evoziert, muss akzeptiert und ertragen werden, um eine Wiederholung der Barbarei zu verhindern.