Gedenken zum 9. November 2020 und die Gegenwart des Antisemitismus

Heute jährt sich der Tag der Novemberpogrome der Nationalsozialisten zum 82. Mal. In der Woche vom 7. bis zum 13. November ermordeten Deutsche etwa 800 Jüdinnen und Juden, davon allein 400 in der Nacht vom 9. auf den 10. November. Systematisch wurden über 1.400 Synagogen, Beträume, sowie jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhofe zerstört. Anders als auf der Gedenktafel der ehemaligen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße Leipzig benannt – diese spricht von „faschistischen Horden“, die die Pogrome durchführten – beteiligten sich auch Teile der deutschen Bevölkerung an den Morden und der Zerstörung.

Die Novemberpogrome waren, anders als von vielen oft verharmlost wahrgenommen, kein erster Anfang von Sachbeschädigung jüdischen Eigentums, sondern bereits extremer Ausdruck des antisemitischen Vernichtungswahns. Allein ab dem 10. November 1938 wurden bereits 30.000 Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager deportiert, davon wurden 400 ermordet oder starben an den harten Haftbedingungen.

Der Tag des Gedenkens an die Reichspogromnacht steht im Jahr 2020 bedauerlicherweise im Zeichen neuer und alter Kontinuitäten des Antisemitismus aus allen Teilen der Gesellschaft. Wir müssen nicht bis in unser Nachbarland Österreich und nach Wien schauen, wo ein islamistischer Terrorist am 4. November vier Menschen tötete und viele weitere zum Teil schwer verletzte. Antisemitismus ist nicht erst dann zu skandalisieren, wenn er eine Tötungsabsicht begründet. Auch auf der Demonstration der sogenannten „Querdenker“ am 7. November in der Leipziger Innenstadt, zu der wir in unserem vorangegangenen Post ein Statement verfassten, fanden sich aktuelle und schwerwiegende Ausdrucksformen des Antisemitismus.
Bei dieser Ansammlung verschiedener Antisemiten, Neonationalsozialisten und linker wie rechter Corona- Leugner wurden Journalisten und Gegendemonstranten, von der Polizei unbehelligt, massiv bedroht und angegriffen. Es kam außerdem zur Relativierung der Shoah, indem sich eine Teilnehmerin beispielsweise als “Covidjud” bezeichnete.
Es bleibt schlussendlich zu fragen, wieso eine Demonstration von Verschwörungsideologen, Neonationalsozialisten und Corona-Leugnern von der Stadt Leipzig genehmigt wurde, das Gedenken an die Reichspogromnacht zum 9. November jedoch in Dresden und Leipzig aufgrund von Corona Auflagen unterbunden wurde.
Besonders irritierend ist jedoch der Umstand, dass am Jahrestag der Novemberpogrome in Dresden der Rechtsextreme Andreas Kalbitz auf einer Pegida-Kundgebung sprechen wird und auch in Leipzig die verschwörungsideologische “Querdenken”-Bewegung zu einer Versammlung auf dem Augustusplatz mobilisiert. Nicht zuletzt unterstreicht dies, dass Antisemitismus kein Problem der Vergangenheit ist, sondern gegenwärtig eine reale Gefahr darstellt, die es zu bekämpfen gilt.

Die Deutsch-Israelische Gesellschaft Leipzig und das Junges Forum DIG Leipzig werden für den 9. November einen Kranz am Synagogendenkmal der ehemaligen Großen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße niederlegen.