Liebe
Anwesende,
ich bin sehr
dankbar dafür, dass heute so kurzfristig so zahlreiche von Ihnen dem Aufruf
unserer Deutsch-Israelischen Gesellschaft gefolgt sind und sich an dieser
Solidaritäts- und Gedenkveranstaltung für die Betroffenen des antisemitischen,
rechtsextremen Terroranschlags gestern in Halle beteiligen. Ich möchte darauf
hinweisen, dass diese Versammlung klar einem zivilgesellschaftlichen Engagement
entsprungen ist. Dass sich nun zahlreiche RegierungsvertreterInnen und
LokalpolitikerInnen angeschlossen haben, freut uns sehr. Wir möchten dennoch an
unserem Anspruch festhalten und in unserer RednerInnenliste den Stimmen der
Zivilgesellschaft, insbesondere unseren jüdischen Freunden und Freundinnen, ein
größeres Gewicht einräumen.
Wir wollen
heute ein Zeichen der Solidarität in Zeiten einer schweren Krise setzen – einer
Solidarität, die gerade den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern unter uns gelten
und ihnen Kraft geben soll. Es ist aber auch ein Zeichen gegen jede Form von
Antisemitismus.
Das
Hauptmotiv der verachtenswerten gestrigen Tat war Antisemitismus. Dies geht aus
dem Manifest des Täters, das er im Internet verbreitete, eindeutig hervor:
Seiner Weltanschauung nach kontrollieren Juden und Jüdinnen die Welt, sie
stehen hinter allen Übeln der Menschheit. Auch Einwanderung und Feminismus
hätten die Juden zu verantworten. Der Täter schreibt, er hätte auch eine
Moschee oder ein linkes Zentrum angreifen können – aber er wählte die Synagoge,
denn nur die Vernichtung von Juden und Jüdinnen, so seine Aussage, würde wirklich
eine Veränderung herbeiführen. Diese klassische, völkisch-rassistische
Weltverschwörungstheorie ist ein konstitutives Merkmal jeder Form von
Antisemitismus.
Anlässlich
der furchtbaren Tat möchten wir als Deutsch-Israelische Gesellschaft einige
zentrale Missverständnisse über Antisemitismus aus dem Weg räumen:
Erstens:
Antisemitismus
war und ist die Kernideologie des Rechtsextremismus, aber er beschränkt sich
darauf nicht. Antisemitismus ist in allen Teilen der Bevölkerung zu finden, ob
rechts, ob links, ob proletarisch oder intellektuell, ob christlich oder
muslimisch, ob radikal oder gemäßigte Mitte. Es ist unsere Verantwortung, ALLE
Formen von Antisemitismus gleichermaßen zu verurteilen und zu bekämpfen. Wir
verurteilen jede Form von politischer Instrumentalisierung von nur einzelnen
Formen von Antisemitismus.
Zweitens :
Antisemitismus
fängt nicht erst dann an, wenn sich ein Mensch mit geschlossen rechtsextremen
Weltbild und einem Waffenarsenal Zutritt zu einer Synagoge verschaffen will, um
dort alle Juden zu töten. Antisemitismus äußert sich in vielfältiger Form,
oftmals auf viel subtilerem Wege, in Beleidigungen, Bedrohungen, Schmierereien,
in der Popmusik und zunehmend auch im Internet. Wir verlangen von Politik und
Justiz, dass bereits Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze ernstgenommen
werden. Wir verlangen, dass Betroffene endlich ernst genommen und gehört
werden. Wir verurteilen die Bagatellisierung von Rechtsextremismus, gerade in
Sachsen. Wir verlangen eine konsequente strafrechtliche Verfolgung
antisemitischer Taten und eine abschreckende Bestrafung.
Drittens:
Antisemitismus
in Deutschland ist KEIN neues Phänomen – erst recht nicht der
völkisch-rassistische Antisemitismus des Täters aus Halle. Er hat eine lange
Tradition und beruht in Deutschland vor allem auf der Verweigerung, sich mit
der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Antisemitismus
wuchs so ungehindert fort. Gerade weil sich Antisemitismus seit 1945 nicht mehr
nur in der klassisch völkisch-rassistischen Form, sondern auch in anderen
Formen zeigt – nämlich z.B. in der Relativierung des Nationalsozialismus oder
dem Hass auf Israel – müssen wir Aufklärung und Bildung über Antisemitismus
fördern. Es ist ein Armutszeugnis, dass wichtigen Initiativen, die sich in
Deutschland seit Jahren gegen Antisemitismus einsetzen, kürzlich von der Bundesregierung
im Programm „Demokratie leben!“ die Mittel gekürzt wurden. Wir fordern von der
Politik, endlich zu handeln und nicht nur zu reden.
Die
Deutsch-Israelische Gesellschaft setzt sich seit Jahren bundesweit und
überparteilich für die Aufklärung über und die Bekämpfung von Antisemitismus
ein. Wir werden diese Arbeit jetzt erst recht fortsetzen.